Dienstag, 25. Juni 2013

Zwischen Leinwand und Leichentuch


Wallstein
Patronatskind No 6

Ralph Dutli
Soutines letzte Fahrt
Wallstein, 2013
geb 19,90 €

Gerade las ich bei der österreichischen Online-Zeitung Die Presse vom 16.10.2009 Daten und Anekdoten zum und um den Maler Chaim Soutine, "Ich spreche keine Sprache nicht", aufgeschrieben vom österreichischen Autoren Josef Winkler. Von Chaim Soutine höre ich nämlich zum ersten Mal. Ralph Dutli ist mir aber bekannt als Übersetzer von Ossip Mandelstam. Nun hat er seinen ersten Roman geschrieben.


Der Wallstein Verlag schreibt zum Buch
>> Ein Roman über Kindheit, Krankheit und Kunst. Über die Wunden des Exils in Paris, die Ohnmacht des Buchstabens und die überwältigende Macht der Bilder.

Chaim Soutine, der weißrussisch-jüdische Maler und Zeitgenosse von Chagall, Modigliani und Picasso, fährt am 6. August 1943 in einem Leichenwagen versteckt von der Stadt Chinon an der Loire ins besetzte Paris. Die Operation seines Magengeschwürs ist unaufschiebbar, aber die Fahrt dauert aufgrund der Umwege – um die Kontrollposten der Besatzungsmacht zu meiden – viel zu lange, nämlich 24 Stunden.
La Ruche
In einem Strom bizarrer Bilder, die der verfolgte Maler im zeitweiligen Morphin-Delirium vor sich auftauchen sieht, erzählt der Roman halb historisch, halb fiktiv Episoden aus Soutines Kindheit in Smilowitschi bei Minsk, die ersten Malversuche in Wilna, den beharrlichen Traum von Paris, der Welthauptstadt der Malerei. Er beschwört die unwahrscheinliche Freundschaft mit Modigliani, den plötzlichen Erfolg und das Ende der goldenen Pariser Jahre.
Der Maler, der an die Macht der Milch als einziges Heilmittel glaubt, fährt aber auch in ein »weißes Paradies«, eine Mischung von Klinik und Gefängnis, in der es zu merkwürdigen Begegnungen und Ereignissen kommt. Ein mysteriöser »Gott in Weiß« erklärt ihn für geheilt, verbietet ihm aber das Malen. Doch in einem Paradies ohne Malerei ist dem Künstler nicht zu helfen. Er beginnt heimlich wieder zu malen – und ist bereit, dafür den geforderten Preis zu zahlen … <<
Zum Photo: In Paris lebte und arbeitete Soutine im Künstlerhaus La Ruche (Bienenkorb). Das Bild fand ich im Blog despuesdeana.

Montag, 24. Juni 2013

Falkner und Hein


kookbooks
Einen Kommentar von M* aufgreifend weise ich hier noch einmal ausdrücklich im Zusammenhang mit dem Beitrag zu Christoph Hein vom 5. April auf den Lyrikband Pergamon Poems hin, zu dem mir die Erinnerung einen Streich gespielt hatte.

Gerhard Falkner
Pergamon Poems

Gedichte & Clips
deutsch-englisch, ins Englische von Mark Anderson
kookbooks, 2012
Reihe Lyrik, Band 26
broschiert mit DVD, 19,90 €

Es war also Gerhard Falkner, der von Denis Scheck im Pergamon Museum interviewt worden war. Ob Hein oder Falkner - mit beiden ist es ein Gewinn, Alte Geschichte(n) aufzuspüren.

PS: Das Kommentarfeld bestellen zu können scheint noch etwas problematisch zu sein (- bestellen hier wie "Felder bestellen", das Buch bestellen sollen Sie natürlich obendrein gerne, kein Problem! -).

Was kommentieren betrifft: Hoffentlich lassen Sie sich nicht entmutigen. Es gibt immer noch den Weg über e-mail info@buch-haimberger.de, dass Ihr Beitrag hierher findet. Tips zur Technik nehme ich auch gerne entgegen.

Samstag, 22. Juni 2013

Gedichte unterm Buchenbaum, nebst Buchpatronatskind No 5


Illustrated Legends of the Jin'ōji Temple
Das Metropolitan Museum in New York bringt Jahr für Jahr Buchkalender in Ringformat heraus, in der verschiedene Schwerpunkte seiner Sammlung präsentiert werden, und an eine alte Ausgabe mit asiatischer Malereien musste ich denken, besonders an die Darstellung einer Gesellschaft, die sich unter Bäumen am Fluss versammelt hatte und Dichtungen lauschte. Die kann ich im Moment nicht wiederfinden, aber diese Szene gibt ganz gut die Stimmung wieder, die beim Lyrikmarkt am vergangenen Samstag herrschte.

Hanseatenweg 10
Akademie der Künste
Ein kleiner Trupp von uns, Brüder, Neffe und ich, stieß zu Freunden am Foyer der Akademie der Künste im Hansaviertel, etwas ermattet nach einem langen Weg über den neuen Park am Gleisdreieck und von Ost nach West quer durch den Tierpark. Nachdem wir uns gestärkt und erfrischt hatten, das Lyrikfest war im vollen Schwunge, trafen wir rechtzeitig für den letzten Teil im Buchengarten ein, und da kam das Bild auf: lauter auf besonnenes Lauschen eingestimmte friedfertige Menschen unter einem prächtigen alten Baum, der die Szene prägt, das alles vor der Kulisse des schönen unaufdringlichen, offenen Baus der Akademie der Künste.
Was wir noch mitbekamen:
Alles, was wird, will seinen Strauch | Orsolya Kalász
gutleut-verlag
Da saßen wir also und hörten erste einmal Ungarisch, was ganz egal, worum es geht, wohlklingt. Orsolya Kalász las das Gedicht dann noch mal in deutscher Übersetzung, und es tauchte uns in eine vordergründig heimelige Stimmung, dem aus Hundeperspektive etwas Bedrohliches unterlegt war, so ein bischen Daphne Du Maurier. Monika Rinck hatte erotische Gedichte übersetzt, wie es schien, sehr gut übersetzt, aber vielleicht bin ich zu prüde, mir das anzuhören.
Aurélie Maurin moderierte dann ganz fröhlich und gut Ulf Stolterfoht an, ohne zu versäumen, am Ende der Dichterlesung zu einem Bummel bei den Lyrikständen einzuladen, denn es geht ja um Lyrik, darüberhinaus aber auch um Markt. Ich muß sagen, dass ich immer wieder erstaunt und freudig überrascht bin, wenn Lyrik tatsächlich auch gekauft wird, und nicht nur gemocht. Denn seien wir ehrlich, wie oft wir von einem Gedicht berührt und beglückt werden, aber wie selten wir einen Gedichtband kaufen.

Also brachte Stolterfoht die Lesung zu Ende, zu einem vergnüglichen Ende, das mit Kostproben aus Wider die Wiesel allgemeines Gekicher und Lachen hervorzauberte.
Stolterfoht, Ulf: wider die wiesel
Peter Engstler
Hier eine Kostprobe, von der Verlagsseite zitiert:
pop! geht das wiesel, kanister mit diesel, stiefel voll
blut, pop pop! geht das wiesel – und alles wird glut.
ein pfennig für die spule, fürs schiffchen ein kreuzer,
diesen weg geht das geld. pop! geht auch das wiesel.
rauf und runter die trinity straße, raus aus dem beu-
tel, rein in den sack, diesen weg beschreitet das geld.
pop! geht hingegen das wiesel. pop pop! geht das
wiesel. ein halbes pfund mais, melasse dazu, ein gan-
zes pfund puffreis – was kostet die welt? pop! geht
das wiesel. diesen weg geht das geld. mix it up! und
machen es schön. pop! geht das wiesel. kanister mit
http://jacketupload.macmillanusa.com/jackets/high_res/jpgs/9780805006285.jpg
diesel. pop pop! geht das wiesel. und machen es schön …

Wie Stolterfoht freimütig mitteilte, hat er dies Gedicht mit Hilfe der Google Übersetzermaschine kreiert. Grundlage wird der Nursery Rhyme "All around the Mulberry Bush..." sein, und da findet sich eine amerikanische Version in dem Buch "Go in and out the Window", das wiederum in Zusammenarbeit mit dem Metropolitan Museum of Art entstand - und so schließt sich der Kreis.

DVA
Patronatskind No 5:
Sarah Kirsch
Krähengeschwätz
Worüber dieser Blogeintrag eigentlich gewesen sein sollte ist aber Sarah Kirsch und ihr Buch Krähengeschwätz. Die große Dichterin, deren Tod wir erst vor Kurzem betrauern mussten, legt damit nicht eigentlich einen Gedichtband vor, obschon die Sprache lyrisch bleibt und hier und da auch ein Gedicht Eingang findet, beispielsweise das vom 9. Februar 1987, Montag (S.125), das dem Buch den Titel gab. Es sind Tagebuchaufzeichnungen, die vom März 1985 bis Dezember 1987 reichen und in einer schönen gebundenen Ausgabe 2010 in der Deutschen Verlags-Anstalt erschienen sind. Eine ausführliche Besprechung liefert, unter anderen, Wilfried F. Schoeller im Deutschlandradio ("Hier bin ich sehr sehr gern immerdar.", vom 15. April 2010)


Mittwoch, 19. Juni 2013

An der Seite des Arztes


Profile Books
Atul Gawande
Better
A Surgeon's Notes on Performance
Profile Books, 2007
13,60 €

Patronatskind No 4 entpuppt sich als eine Auseinandersetzung mit den Schwierigkeiten, die einem Chirurgen in seiner Arbeit begegnen. Das besondere an diesem Buch voller Fallbeispiele ist, dass sich Atul Gawande nicht nur als Arzt äußert, sondern auch gesellschaftlich Stellung bezieht, beispielsweise wenn er Komplikationen und ethische Abgründe im Zusammenhang mit der Todesstrafe erörtert oder wenn er zu Fällen aus dem Krieg berichtet.
btb

Das Buch ist 2012 im Deutschen unter dem Titel: 

Wenn Fehler Leben kosten
Fallgeschichten aus der Chirurgie

erschienen und kann gerne bestellt werden.
Übersetzt hat es Gabriele Zelisko
9,99 €


Mir fiel ein, dass ich vor vielen Jahren Peter Bamm gelesen hatte, Die Unsichtbare Flagge. Da ging es um seine Arbeit als Chirurg im Zweiten Weltkrieg. 1957 war es erschienen und beklagte des Menschen Irrsinn, einander solch ein Leid zuzufügen. Gawande hat mit zerschossene Menschen aus den Kriegen Afghanistans und Iraks zu tun, und die Menschheit ist nicht viel weiter gekommen.

Gawande schreibt intelligent, einfühlsam und engagiert, beispielsweise auch über sexueller Missbrauch in der Praxis oder über verschiedene Gründe für Fehldiagnosen. Was im Umkehrbild dabei deutlich wird ist die Komplexität eines Menschen mit seinem Körper, seinen Sinnen, seinen Ängsten und Stärken, der immer ein Gegenüber, eine Person ist.

Medizin und Psychoanalyse/Psychologie
Aus gegebenen Anlaß folgt hier die Liste aller vorrätiger Titel:

  • Krankheitstheorien
Hrg von Thomas Schramme
Suhrkamp, 2012
stw 2011 / 16,00 €
  • Heilkunst und schöne Künste
Wechselwirkungen von Medizin, Literatur und bildender Kunst im 18. Jahrhundert
Hrg von Eisenhut, Lütteken und Zelle
Wallstein, 2011
kt 29,00 €
  • Ernst Büchner; Versuchter Selbstmord mit Stecknadeln
Suhrkamp, 2013
Insel Bücherei 1372, 14,95
  • Jüdische Ärzte in Schöneberg / Topographie einer Vertreibung
Hrg von Jacob/ Federspiel
Hentrich & Hentrich, 2012
Klappenbroschur 14,90 
  • Klaus Michael Meyer-Abich; Was es bedeutet, gesund zu sein
Philosophie der Medizin
Hanser, 2010
geb 29,90 €

  • Margarete Mitscherlich; Die Radikalität des Alters 
Einsichten einer Psychoanalytikerin
S. Fischer, 2010
geb 18,95 €
  • Siddhartha Mukherjee; The Emperor of all Maledies
A Biography of Cancer
Fourth Estate, 2011
kt 11,60 €
  • Oliver Sacks; Das innere Auge
Neue Fallgeschichten
Ü: Hainer Kober
Rowohlt, 2011
geb 19,95 €

Übrigens: In Sinn und Form von Mai / Juni (im Laden vorrätig, 9,00) hat Alexander Brock einen Artikel von Oliver Sacks, Erinnerung, sprich, übersetzt, der im Februar in der New York Review of Books erschienen war (Speak, Memory). 
  • Dr. Rainer Steffensen; Zwischen Leben und Sterben
Alltag eines Arztes auf einer Palliativstation
Dresdner Buchverlag, 2011
geb 17,90 
  • Damián Tabarovsky; Medizinische Autobiographie
Roman
Ü: Heinrich von Berenberg
Berenberg, 2010
geb 19,00 €

"Einer der unterhaltsamsten unter den neueren lateinamerikanischen Autoren und sein Patient: Dami, Marketingspezialist in Buenos Aires, will die Spitze der Karriereleiter erklimmen und den globalisierten Turbokapitalismus befeuern. Dumm nur, dass sich immer, wenn es losgeht, der schrecklich unberechenbare eigene Körper einmischt: Augen, Bandscheiben, Magengeschwür, Allergien etc. – Dami ist eben doch ein gewöhnlicher Mensch, obwohl er gern das Gegenteil wäre. Ein sehr komisches, sehr kluges Buch, das sich mit Lust am Paradox dem Erscheinungsbild des modernen Stadtmenschen widmet: entwurzelt, ehrgeizig, krank und alles andere als perfekt." (Verlagstext)
  • Gertrud Wagemann; Verständnis fördert Heilung
Der religiöse Hintergrund von Patienten aus unterschiedlichen Kulturen
Ein Leitfaden für Ärzte, Pflegekräfte, Berater und Betreuer
VWB - Verlag für Wissenschaft und Bildung, 2005
kt 14,95 €