Samstag, 27. Oktober 2012

Opferfest

Wallstein


Patrick Roth
Sunrise
Das Buch Joseph
Roman
geb. 24,90 €
978-3-8353-1051-3

Gerade blätterte ich etwas in Peter Bichsel, Über Gott und die Welt, um zu sehen, ob er etwas zu Jesu Opfertod oder Ähnliches zu sagen hat. Hat er nicht. Dafür entdeckte ich einen Haufen anregender, liebenswerter und kämpferisch-knurriger Geschichten. Es gibt auch viele Weihnachtstexte in diesem Bändchen, das etwas von Peter Ustinows Buch, Achtung Vorurteile! hat und jedenfalls lesenswert ist.

Suhrkamp
Rowohlt
Peter Bichsel
Über Gott und die Welt
Suhrkamp Taschenbuch 4154, 8,99 €
978-3-518-46154-9 

Peter Ustinov
Achtung! Vorurteile
rororo; Hardcover, 9,95 €
978-3-499-33221-0

Das islamische Opferfest begründet sich auf das Abrahamsopfer, das Gott-sei-Dank nicht zum bitteren Ende durchgeführt wurde, aber wenigstens Abraham schon reichlich Schmerz zugefügt haben wird. In seinem Buch über Joseph von Nazareth greift Patrick Roth diese Bedrängnis und diesen Schmerz eines von Gott erwarteten Sohnesopfers wieder auf.

Opfer, nämlich sacrifice im Gegensatz zum Opfer werden - victim – gehört zu meinen Reizthemen in der Religion, und um es gleich zu sagen, es ist an der Zeit, dass die Religionen mit dem religiösen Opfer ein und für allemal Schluß machen und sich um die zum Opfer Gefallenen kümmern, darum, dass der Mensch dem Menschen nicht mehr Grausamkeit zufügt. Was soll das für ein Gott sein, der Opfer fordert? Schon Prophet Amos lässt von Gott ausrichten, dass er blutige Opfer nicht will, sondern erwartet, dass der Mensch dem anderen in Not und Kummer beisteht. Hungrige speisen, Traurige trösten, Schwache schützen. Das sei Gott wohlgefällig.

Nun gut- zurück zum Buch, zum Roman von Patrick Roth. Wie geht er mit der Materie um? Von der Sache her hat er Amos nicht beherzigt, leider. Sein Gott geht mir tüchtig auf die Nerven. Nun ist es aber gut, wenn man sich reibt und ärgert. Das hält wach. Literatur die glatt runtergeht hält nicht lange vor.

Sprachlich ist es gewaltig, was Roth leistet, und so sollte er, finde ich, durchaus mit Staunen und Anerkennung gelesen werden, als ein Sprachgewaltiger.

Abgesehen vom Stoff hätte ich ihm alle Punkte zugestanden, wenn er nicht einen Roman mit abgerundeten plot geschrieben, sondern es bei dem Ganzen als Novelle mit offenen Anfang und Ende gewagt hätte. In der Romanlänge gelingt es ihm auch nicht durchweg, den archaischen Duktus zu halten. In der Not, den Inhalt in die passende Form zu bringen, muss er eben doch gegen Ende komplizierter formulieren. In einer Novelle, deren Inhalt rätselhaft unaufgelöst bleibt, hätte sich die Sprache wirklich voll entfalten können und uns Leser dazu gebracht, das Menschsein in volleren Zügen auszukosten und Gott ein Stück näher zu rücken. Denn Kunst kann das.

Mehr Bücher zum Thema:

Guy G. Stroumsa
Das Ende des Opferkults - Die religiösen Mutationen der Spätantike
Ü: (frz) Ulrike Bokelmann
Verlag der Wekltreligionen
Gebunden, 29,00 €
978-3-458-71036-3
*
Böttrich / Ego / Eißler
Mose in Judentum, Christentum und Islam
15,95 €
978-3-647-63018-2
*
Sören Kierkegaard
Die Krankheit zum Tode · Furcht und Zittern · Die Wiederholung · Der Begriff der Angst
dtv 13384
Taschenbuch, 12,90 €
978-3-423-13384-5

Kierkegaard setzt sich in seiner Schrift Furcht und Zittern intensiv mit dem Abrahamopfer auseinander, unter dem Leitgedanken des unbedingten Glaubens wider alle Hoffnung. Außerdem fallen mir noch zum Thema literarischer Auseinandersetzung mit biblischen Stoffen ein: André Gide, Die Rückkehr des verlorenen Sohnes (Le Retour de l’enfant prodigue), Thomas Mann, Joseph und seine Brüder, Ernest Renan Das Leben Jesu - alle unbedingt lesenswert! 

PS: Was Sprache betrifft, lohnt es sich, ab und an mal wieder Passagen in der Lutherbibel oder in der King James Bibel zu lesen .... 

Samstag, 13. Oktober 2012

Erleben, Erinnern


Suhrkamp
Christa Wolf
August
Erzählung
978-3-518-42328-8
Klappenbroschur, 14,95 €

Augúst, dachte ich, als ich den Titel las, aber nach dem ersten Satz wusste ich, es geht um Áugust. Christa Wolf lässt ihn in der Gegenwart als alten Busfahrer mit einer Ladung von Rentner-Ausflüglern zurückreisen in die Anfänge seines Lebens, sich erinnern. Sie schafft es, wach seine Eindrücke der Gegenwart mit den Gefühlen und Erlebnissen der Kindheit zu verweben. August, diesem völlig fremden Menschen, werde ich als Leser zugeneigt, mit seinem Kummer, seinem Sehnen, seinem Lieben. Ecce homo.

Christa Wolf hören, Oktober 2010

Beglückt, betroffen

Vor zwei Jahren hörte ich Christa Wolf, die aus ihrem Roman “Stadt der Engel” las. Das war im Rahmen der Jahresversammlung der Viktor-von-Weizsäcker-Gesellschaft, die sich mit Krise und Biographie befasste. Es ging auch dort – und im Roman – um Erinnern und Erleben, und es gab anregende Fragen und Diskussionen. 

 "August" verdichtet so vieles von dem, was Christa Wolf wohl Zeit ihres Lebens bewegt hat: das Verständnis für den Menschen neben uns, den Fremden, mitunter Schwierigen, die Gefährtenschaft. Es geht um Krankheiten, gesundheitlicher und seelischer Natur. Gesellschaft und Politik – all das hat Christa Wolf mit Weisheit und in klarer Prosa zu Wort gebracht, damit wir es lesen.

Und dann nennt Christa Wolf, die im Osten aufwuchs, soviele "Schrüchskes" und Lieder, die ich, die ich ganz vom Westen komme und in späteren Jahren aufwuchs, auch kenne. Ihre Freude an Volkes Mund und am Lied, zusammen mit ihrem Blick für die Schönheit der Natur, für Architektur und Kunst durchzieht ihre Prosa, weil all dies zu unserem Menschsein gehört, auch und gerade wenn die Zeiten hart sind. Die Erzählung beglückt.

Das Leben von August ist von Krieg, Vertreibung, Flüchtlingsnot geprägt. Dass die Politiker und Obwalter der europäischen Länder dies nach wie vor andernorts verschulden oder unterstützen und mit denen, die heute bei uns als Waisen und Flüchtlinge und Vertriebene stranden, oder auch nur dies versuchen, von Jahr zu Jahr harscher umspringen, sollte sie angesichts der Friedenspreisverleihung beschämen; sie sollten innehalten und das menschliche Miteinander im Kleinen und Großen neu bedenken. Wir Bürger sollten dies ebenso bedenken. Für Christa Wolf zählte zuerst der Mensch, nicht die Politik. Aber es tut auch politisch Not, Christa Wolf zu lesen. Damit wir wach bleiben und betroffen.

Suhrkamp
Christa Wolf
Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud
Roman

978-3-518-46275-1
Tb, 10,99 €



Donnerstag, 4. Oktober 2012

Reclam Herbstauslese

Reclam Bibliothek
Aus der Fülle von Neuerscheinungen bei Reclam in diesem Herbst habe ich folgende Titel gefischt, wobei ich mich besonders freue, dass nun mit dem Paradies der dritte und letzte Band der Dante-Übersetzung von Hartmut Köhler versammelt ist.

Dante Alighieri

La Commedia / Die Göttliche Komödie
III. Paradiso / Paradies
It./Dt.    828 S.
Leinen mit Schutzumschlag, Fadenheftung, Kapital- und Leseband
978-3-15-010796-6
36,95 €


Die beiden ersten Bände sind in gleicher Ausstattung:


Dante Alighieri

La Commedia / Die Göttliche Komödie
I. Inferno / Hölle
978-3-15-010750-8
27,95 €

Dante Alighieri

La Commedia / Die Göttliche Komödie
II. Purgatorio / Läuterungsberg
978-3-15-010795-9
32,95 €
Im Blogeintrag zuvor ist ein weiterer Titel aus dem Programm bei Reclam aufgeführt: Verfilmungen. Ausserdem vorrätig sind:

Sigmund Freud

Warum Krieg?
Der Briefwechsel mit
Albert Einstein
978-3-15-018924-5
3,00 €

Arthur Miller

A View from the Bridge
A Play in Two Acts
Engl
978-3-15-019847-6
4,60 €

Christoph Martin Wieland

Geschichte der Abderiten
Studienausgabe
978-3-15-019004-3
11,80 €


Noch klatscht der Herbstregen auf bunte Blätter und noch kann man, wenn die Sonne sich zeigt und alles in Gold eintaucht, vor dem Haus oder im Park sitzen. Zum Schluß aber als Vorgeschmack auf bald ... 

Wintergedichte 
978-3-15-018938-2
3,00 € 


Fröhliches Fest
Weihnachtsgeschichten
Leinen, Lesebändchen
978-3-15-010884-0
14,00 €
 
Reclams Literatur-Kalender 2013
mit 16 Abb.

978-3-15-018940-5
3,00 €


Quelle (Bild und Titelangaben): Verlag Reclam


Dienstag, 2. Oktober 2012

Literaturverfilmungen

Reclams Universalbibliothek
Literaturverfilmungen
Interpretationen
Reclam, Stuttgart
erweitert und aktualisiert, 2012
978-3-15-017536-1
9,80 €

Ich schlug dies Büchlein auf und dachte gleich: ach, den musst Du noch mal sehen! und Mensch, das musst Du wieder lesen!

Weswegen ich Literaturverfilmungen mag ist, weil sie mir etwas verraten, wie ein anderer Mensch den Stoff aufnimmt und verarbeitet, über den ich mir zuvor meine eigenen Eindrücke und Gedanken gesammelt habe.  

Letzten Sonntag zeigte ARTE die Verfilmung von Monsieur Hire. Die Interpretation zur Verfilmung von Monsieur Hire ist in dieser Sammlung bei Reclam von immerhin 30 Beispielen nicht dabei. Also Georges Simenon. Diesesmal bei der Verfilmung war ich wieder einmal erstaunt – und ich muss sagen, auch enttäuscht. Beim Lesen kam es mir so vor, als habe Simenon die Armseligkeit von Kleinbürgern besonders meisterhaft in eine nass-kalte erbärmliche Szene gesetzt. In der Verfilmung leben die Protagonisten chique und sauber, hungern und frieren nicht. Und dann ist da noch die Schlußszene, die mich beim Lesen beinahe umgehauen hat – der Regisseur hatte daraus etwas völlig anderes gemacht, wie mir scheint. Trotzdem habe ich den Film gerne gesehen. Ich würde ihn als etwas Eigenes betrachten. Er war ein ästhetisches Vergnügen. Man schaute, man lauschte, man roch. Aber müsste ich wählen zwischen Leconte und Simenon: immer her mit dem Buch!

Diogenes
Film:
Monsieur Hire, Frankreich, 1989
Regie: Patrice Leconte
mit Michel Blanc (Monsieur Hire), Sandrine Bonnaire (Alice), Luc Thuillier (Emile), André Wilms (Polizeiinspektor)

Georges Simenon
Die Verlobung des Monsieur Hire
Aus dem Französischen von Linde Birk
Diogenes, 2012
978-3-257-24101-3
9.00